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Schau niemals auf jemanden herab,

ausser - Du hilfst ihm auf!

 

 

 

2023 

5 Jahre SHG Depression Porz

 

 

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Depression und Kunst

(Text: Manfred M.)

 

Man muss nicht lange zurückblicken, um zu sehen, wie sich die gesellschaftliche Etikettierung von „gesund“ oder „krank“ wandeln kann. Dies trifft sowohl auf das Kunstverständnis wie auch den Umgang mit psychisch erkrankten Menschen zu. Nicht nur die NS-Vergangenheit zeigte uns auf,  wie die Kunst reglementiert wurde und Abweichungen davon schnell als „entartete Kunst“ diffamiert wurden. Auch später in der Ex-DDR sollte nur der „neue Realismus“ in der Kunst gefördert werden. Schwer psychisch erkrankte Menschen kamen schnell in Gefahr, im NS-Regime als „lebensunwert“ betrachtet und bis in den 1960er Jahren sowohl in der BRD als auch in der DDR psychiatrisch weggesperrt zu werden. Nur allzu oft wurde die Depression tabuisiert oder dem Erkrankten von seiner Umwelt Willensschwäche oder Undankbarkeit vorgeworfen. Bei den alten Griechen galt eine psychische Erkrankung als eine Gabe der Götter. In den Zeiten von Aristoteles kannte man schon die „Melancholie“ und er schlussfolgerte daraus, dass die Größe der Kunst aus der dunklen Meditation entsteht und aus dem Verzicht auf Glück.

 

Machen wir einen Sprung in die heutige Zeit, in der die Depression öffentlich nicht mehr so tabuisiert wird und gute Heilungsmöglichkeiten durch neuere Psychopharmaka und Psychotherapie möglich werden. Dem Erkrankten kann wesentlich besser geholfen werden als noch vor 30 Jahren. Und dennoch bleibt ein gesellschaftliches Reststigma bestehen, da diese Erkrankung oft schwer zu erkennen ist, sie sich in verschiedenen und uneinheitlichen Symptomen darstellt und die Einschätzung auf raschen Erfolg schwer voraussagbar ist. Es gibt noch kein bildgebendes Verfahren, das eine Depression sichtbar werden lässt, ähnlich einem Knochenbruch. Und so sind die professionellen Helfer auf das angewiesen, was der Patient aus seinem Erleben und Empfinden berichtet. Die Einschätzung, wie krank oder gesund der Patient ist, muss also erst gemeinsam herausgefunden werden und unterliegt so unterschiedlichen Vermutungen und Interpretationen des Helfers.

 

In Zeiten der „Selbstoptimierung“, „Effizienzsteigerung“ und der monitären Vermarktung des Individuums kommt der Zuschreibung von „gesund“ und „krank“ aber eine besondere Bedeutung zu. Je nach Perspektive sind „Erkrankte“ ein „Kostengrab“ oder eine „Goldgrube", beispielsweise für die Institutionen der Gesundheitsindustrie.

Die Reduktion des Menschen auf seinen schieren „Nutzen“ hin, macht ihn zu einem Ding, das man entweder flexibel und mit Gewinn braucht oder schlicht wegwirft.

Diese gesellschaftlichen Normsetzungen (siehe Werbebranche und Finanzmarkt) bleiben nicht ohne Einfluss auf das Individuum.

 

Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn psychische Erkrankungen wie Depression häufig versteckt oder sogar negiert werden. Es wird in der Regel vom Individuum als Schwäche und Makel erlebt, die Schamgefühle auslösen, wenn die Erkrankung offenbar wird. Der Erkrankte will nicht „aus dem Rahmen fallen“ und versucht, so gut wie möglich weiter zu funktionieren und die innere Not vor anderen und auch vor sich selber zu verbergen. Die öffentliche Meinung zeigt sich nur dann geschockt, wenn die Erkrankung Depression zu dramatischen Folgen führt, siehe den Suizid des Nationaltorwarts Enke (2009), der sich mit 32 Jahren vor den Zug warf oder den Absturz der Germanwings Maschine im Jahre 2015 durch einen Pilotensuizid.

 

Die Kunst unterliegt ebenfalls den gesellschaftlichen Wandlungen, insbesondere deren aktuellen Vermarktung. Andererseits kann sie aber auch die Finger in die Wunden einer Gesellschaft legen und diese über die verschiedenen Kunstformen offenbaren. Damit stößt sie an, berührt, provoziert, verwirrt und lädt ein, das Werk auf sich wirken zu lassen. Sie reichert das menschliche Leben in seiner dunklen Tiefendimension an, indem sie das Verleugnete, Tabuisierte offenlegt und damit persönliche und gesellschaftliche Denkmuster überschreitet. Damit spiegelt die Kunst auch das Destruktive und Hässliche, wie auch das ohnmächtige Leiden und Absurde im menschlichen Leben wider und gibt ihr so einen öffentlichen Platz.

 

Künstler erleben sich dabei häufig als Grenzgänger. Oftmals zeigen sich die eigene psychische Erkrankungen in ihren Werken  und werden so Ausdruck tiefster eigener Identität.

 

André Gide (1869-1951), berühmter französischer Schriftsteller und Nobelpreisträger, drückte den Umgang mit Krankheit  und Gesundheit wie folgt sehr treffend aus:

 

Ich glaube, dass Krankheiten Schlüssel sind,

die uns gewisse Tore öffnen können.

 

Ich glaube, es gibt gewisse Tore,

die einzig die Krankheit öffnen kann.

 

Es gibt jedenfalls einen Gesundheitszustand,

der es uns nicht erlaubt, alle zu verstehen.

Vielleicht

erschließt uns die Krankheit einige Wahrheiten.

Ebenso aber verschließt uns die

Gesundheit andere,

oder führt uns davon weg,

so dass wir uns nicht mehr darum kümmern.

 

lch habe unter denen,

die sich einer unerschütterlichen

Gesundheit erfreuen,

noch keinen getroffen, der nicht

nach irgendeiner Seite hin

ein bisschen beschränkt gewesen wäre,

wie solche, die nie gereist sind.

 

André Gide

 

Die Liste erfolgreicher Persönlichkeiten aus Kunst, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ist lang:

Ernest Hemingway und Klaus Mann gehören ebenso dazu wie Ted Turner (Gründer des Nachrichtensenders CNN), Winston Churchill, Prinz Klaus der Niederlande. Auch Michelangelo, Frederic Chopin und Rudolf Diesel litten an Depression.

 

Der englische Maler Francis Bacon (1909-1992) setzte sich in seinen Werken vornehmlich mit der Darstellung des deformierten menschlichen Körpers in eng konstruierten Räumen auseinander. Er zeigte den Menschen als schutzloses und verwundbares Wesen. Er gilt als einer der bedeutendsten Maler des 20. Jahrhunderts. Er stand unter dem Einfluss von Alkohol und Glücksspiel. Sein Biograf Daniel Farson berichtet von einer Vita zwischen Halb- und Unterwelt und einem exzessiven Lebensstil.

 

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Auf der Suche nach Wahrheit verzerrt Bacon sie, um sie so besser darstellen zu können.

Berühmt sind seiner Papstbilder aus den 1950er Jahren. Der Schrei, der das Vergängliche und Klammern am Leben nicht verhindern kann.

 

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Weitere bekannte Namen der jüngeren Geschichte sind Hermann Hesse, Virginia Woolf, Pablo Picasso, Curt Cobain, Sinéad O'Connor, Norman Mailer, Cole Porter, Harald Juhnke, Tennessee Williams, Charles Schulz, Marlon Brando, Ozzy Osbourne und Paul Simon,

Jackson Pollocks, der wegen Alkoholproblemen ab 1937 in psychiatrischer Behandlung war, und nicht zu vergessen, Vincent van Gogh.
 

Jean Michel Basquiat (1960-1988) wurde mit 20 Jahren mit seinen sozialkritischen Werken weltberühmt als Kultfigur für die Vermittlung von Graffiti und Galeriekunst. Er wurde hofiert von der Kunstwelt und wurde selber angetrieben von einem unstillbaren Hunger nach Anerkennung. So schwankte er zwischen Größenwahn und Selbstzweifeln. Mit 27 Jahren starb er an einer Überdosis verschiedener Drogen.

 

Bild 3

 

Seine Karriere vom Graffiti-Künstler zum Insider-Star verlief zu schnell, als das er sie hätte kontrollieren oder überhaupt begreifen zu können. Wurden seine Werke anfangs zwischen 5.000 und 10.000 Dollar gehandelt, so brachten wenige Jahre später seine Werke  die Rekordsummen von 1 bis 3 Millionen Dollar ein.

 

Auch der norwegische Maler Edvard Munch (1863-1944) litt unter starken psychischen Erkrankungen wie Agoraphobie und wiederkehrenden schizoiden Psychosen, die von übermäßigem Alkoholkonsum hervorgerufen wurden. Seine hohe Empfänglichkeit für sinnliche Reize bis hin zur synästhetischen Empfindung des „Schreis in der Natur“, der zum Ausgangspunkt des Gemäldes wurde, bestärkte seine Furcht vor dem Verlust seiner Identität. Die Malerei wurde für Munch eine Art von Therapie, mit der er seine Ängste unter Kontrolle bringen konnte und sein Selbst gegen die Reize der Außenwelt abschirmte

 

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Von der Kunst zur Kunsttherapie

 

Von der Kunst ist es nicht weit, um zur Kunsttherapie zu gelangen. Sie findet breite Anwendung u.a. in der Psychoonkologie wie auch bei Patienten mit psychischen Störungen. Kunst oder Kunsttherapie kann die Symptome einer schweren Depression nicht beseitigen, dafür braucht es andere Behandlungsformen wie Pharmakologie und Psychotherapie. Aber sie unterstützt den Patienten, sich neben dem Sprechen über ein weiteres Medium auszudrücken, nämlich dem des Malens. Ob als Künstler oder als Patient einer Kunsttherapie für depressiv Erkrankte, im gestalteten Bild gebe ich etwas preis, oft unbewusst und nicht geplant. Das innere Erleben wird quasi nach außen gestülpt und für alle sichtbar.

 

Der Malprozess wie auch das fertige Werk als Ausdruck des Patienten kann nun im Einzelkontakt mit dem Therapeuten oder in der Gruppe betrachtet werden. Dabei kommt es weniger darauf an, ob das Werk als schön oder abstoßend wahrgenommen wird, sondern welche Resonanz und welche eigenen Gefühle und Themen berührt und angesprochen werden. Es zählt also nicht so sehr das künstlerische ästhetische Ergebnis, sondern der eigene Malprozess.

 

Die Kunsttherapie kann dem Patienten helfen, das oft namenlose und quälende Erleben der Depression sichtbar werden zu lassen. Durch den Austausch z. B. in der Gruppe, erfährt der Patient, dass er mit seiner Erkrankung nicht alleine dasteht. Obwohl bei den Mitpatienten der Schweregrad und die Symptome einer Depression sehr unterschiedlich sein können, erfährt sich die Gruppe durch den offenen Austausch als eine Art Solidargemeinschaft, die sich wechselseitig unterstützt und Impulse setzt. Sie bildet einen Schutzraum, in dem Ängste, Schamgefühle, Trauer und Freude ohne Bewertung ausgedrückt werden dürfen.

 

Ein Pater aus Remagen drückte in einem gemeinsamen Gespräch mal aus: „Nicht nur Jesus hatte sein Kreuz zu tragen, sondern alle Menschen tragen ihr eigenes Kreuz auf ihrem Lebensweg. Die psychische Erkrankung Depression ist so ein schweres Kreuz, das es zu tragen und anzunehmen gilt. Erst im Prozess des Annehmens wird wieder der Blick frei für die hellen und leichten Farben des Lebens. Damit erfolgt eine Integrationsarbeit, indem die Schwere des Schicksals wie auch die Freude und Leichtigkeit des Lebens, ausgedrückt in der Farb- und Formauswahl, in Beziehung gesetzt werden.

 

Da außer allgemeinen und sichtbaren Kriterien depressive Erkrankungen sehr unterschiedliche Verläufe aufzeigen und stark von der jeweiligen Person und ihrem Kontext abhängen, sollten auch deren Behandlungsansätze individueller sein. Die Kunsttherapie ist so ein Angebot, kein Allheilmittel - denn dies wurde für die Krankheit Depression noch nicht entdeckt – aber sie kann nachhaltig die Patienten unterstützen,  über den eigenen kreativen Malprozess ihren Weg aus der Depression zu finden.

Unsere nächsten Treffen